Das deutsche Pachtgebiet Kiautschou in China
Karte des gesamten Koloniegebiets, gedruckt in Bando
In der Kolonialpolitik des Deutschen Reiches spielte die Erschließung Ostasiens als wichtiges Handelsgebiet eine
große Rolle. Die Ermordung zweier deutscher Missionare in China war für Kaiser Wilhelm II. ein willkommener
Vorwand, 1897 die für einen Marinestützpunkt geeignet befundene Bucht von Kiautschou an der chinesischen
Ostküste zu besetzen. Im März 1898 wurde mit China ein Pachtvertrag für das Kiautschou-Gebiet mit dem kleinen
Fischerdorf Tsingtau für 99 Jahre geschlossen. Zum Schutz des deutschen Pachtgebiets bildete die Kaiserliche
Marine das III. Seebataillon (Marineinfanterieeinheit), das durch Matrosen-Artillerie verstärkt in Tsingtau
stationiert wurde. Innerhalb weniger Jahre wurde der Ort mit erheblichen finanziellen Mitteln zu einer
prosperierenden Hafen-, Handels- und Universitätsstadt ausgebaut. Die Bevölkerung stieg in 11 Jahren von 15.600
auf 55.000, davon die Anzahl der Nichtchinesen von 2500 auf 4500. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zog das
Militär deutsche berufstätige Reservisten und Freiwillige aus ganz China in Tsingtau zusammen. Am 10. August
1914 stellte das mit England verbündete Japan ein unbeantwortet gebliebenes Ultimatum, in dem die vollständige
Übergabe des Pachtgebiets verlangt wurde. Was folgte, war ein wochenlanger Kampf, zunächst mit örtlich
begrenzten Gefechten, ab Ende Oktober mit Großangriffen der Belagerer, der schließlich mit der Kapitulation der
ca. 5000 eingeschlossenen Soldaten - denen mittlerweile 60.000 Japaner gegenüberstanden - am 7. November 1914
sein Ende fand. Die Kolonie bestand also gerade einmal 16 Jahre.
Karte von Tsingtau und Umgebung mit militärischen Befestigungsanlagen (rot
gekennzeichnet)
Das provisorische Kriegsgefangenenlager im Tempel in Marugame
Die ca. 4700 transportfähigen Kriegsgefangenen (unter ihnen befand sich auch die 400 Mann starke
österreichisch-ungarische Schiffsbesatzung der "Kaiserin Elisabeth") wurden mit drei Frachtdampfern nach Japan
verschifft, die Reise dauerte je nach Zielort drei bis vier Tage. Da man damit rechnete, dass der Krieg - und
damit auch die Internierung - nicht lange dauern würde, wurden die Kriegsgefangenen in Behelfslagern wie
öffentlichen Bauten und Tempeln untergebracht. Eines dieser Tempellager war in Marugame, zwei weitere Lager
befanden sich in Matsuyama und in Tokushima.
Pläne der drei Vorgängerlager
Die Fotos zeigen das Tempelgelände und die traditionellen japanischen Räume, die mit Tatami (Reisstrohmatten)
ausgelegt waren, und als Schlaf-, Wohn- und Essplatz zugleich dienten.
Ansicht des Tempelgeländes
Tempellager Marugame bei Tage (1. v.r.: Rechtsanwalt Rudolf Mahnfeldt, der
Einführungen zu verschiedenen Konzerten schrieb, 2. v.r.: Heinrich Thies)
Nachtruhe: Man schlief auf Reisstrohmatten auf dem Boden, die Möbel
wurden unter die Decke gezogen.
Da die Gefangenen nicht arbeiten mussten, konnten sie sich körperlich und geistig betätigen. Es gab Schauturnen,
Konzerte der Marugamer Musikkapelle unter Leitung des Violinisten Paul Engel und Kammermusikabende.
Sportveranstaltung im Tempellager Marugame
Marugamer Musikkapelle unter Leitung des Geigers Paul Engel
Das provisorische Kriegsgefangenenlager im Tempel in Marugame
Musik im Tempellager Marugame
Kammermusikabend vom 18.2.1917 mit Beethovens "Frühlingssonate" op. 24 für Violine und
Klavier
Im 1. Symphoniekonzert stand Beethovens 2. Klavierkonzert B-Dur op. 19 auf dem Programm. Ergänzend zu sehen sind
Beethovens sorgfältige Niederschrift der Solostimme sowie eine Kadenz zum ersten Satz, die er für seinen Schüler
Erzherzog Rudolph notierte.
Das Barackenlager in Bando
Die 12 provisorischen Lager wurden nach und nach aufgelöst, als klar wurde, dass ein baldiges Ende des Krieges
nicht zu erwarten war und überdies auswärtige Beobachter Kritik an den z.T. unzureichenden, beengten und
überbelegten Unterbringungen äußerten. Stattdessen wurden sechs architektonisch weitgehend identische größere
Barackenlager neu erbaut: Kurume, Nagoya, Narashino, Aonogahara, Ninoshima und Bando. Im April 1917 wurden die
ca. 1000 Gefangenen aus den drei auf der Insel Shikoku gelegenen Lagern Marugame, Matsuyama und Tokushima nach
Bando (ca. 12 km von der Präfekturhauptstadt Tokushima entfernt, heute zur Stadt Naruto gehörend) verlegt.
Blick auf das mit doppeltem Stacheldraht eingezäunte Lagergelände
Karte des Lagers Bando von Joh. Jakoby, Stand 1.4.1919
Haupttor zum Lager mit der charakteristischen Bogenlampe
Lagerkommandant wurde Matsue Toyohisa, der sich bereits in der Leitung des Lagers Tokushima bewährt hatte. Er
verwaltete das Lager human und liberal, gestattete den Gefangenen vielerlei Aktivitäten und pachtete zusätzliche
Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung und die Errichtung von Sportstätten an. Durch seine abgelegene Lage
in einer bäuerlich-ländlichen Gegend, noch dazu auf einer Insel ohne Zugang zu einem internationalen Hafen, war
die Fluchtgefahr sehr gering, weshalb man weniger streng als in anderen Lagern verfahren konnte. Dies hatte
einen regen Kontakt mit der japanischen Landbevölkerung zur Folge. Seitens der japanischen Regierung wurde Bando
denn auch bewusst als "Vorzeigelager" etabliert. Diese Sonderstellung wirkt zwar bis heute fort, ist aber
eigentlich nicht wirklich begründbar. Auch in Kurume und Nagoya gab es ein Orchester, in Narashino ein
Streichorchester, in allen Lagern gab es eine Lagerdruckerei.
Lagerkommandant Matsue Toyohisa
Kriegsgefangene in Bando, Heinrich Thies mit x bezeichnet
Kriegsgefangene Offiziere, japanische Lageroffiziere und ein japanischer Dolmetscher
Das Barackenlager in Bando
Aus Anlass der Aufnahme von 90 Kriegsgefangenen aus Kurume wurde im August 1918 ein "Fremdenführer" durch das
Lager Bando gedruckt. Die aufgeschlagene Karte zeigt einen Rundgang, die Erläuterungen zu den Ziffern finden
sich im Führer. Im Südwesten entstand ein Geschäftsviertel ("Budenviertel Tapautau" - so hieß eine
Einkaufsstraße in Tsingtau), wo die Internierten ihr Handwerk ausübten und gegenseitig verschiedene
Dienstleistungen sowie Lebens- und Genussmittel anboten.
Fremdenführer durch das Kriegsgefangenenlager Bando, Japan
Weiterhin nennt der Führer die verschiedenen Musikgruppen des Lagers und gibt einen Überblick über die
aufgeführten Theaterstücke. Es gab zwei aus jeweils 45 Musikern bestehende Orchester (Tokushima- und
Engel-Orchester), zwei Blasmusikkapellen und zwei Chöre mit jeweils 60 Sängern.
Tokushima-Orchester mit seinem Leiter Hermann Richard Hansen im Musikpavillon im
Lager
Paul Engel mit seinem Orchester
Blaskapelle der M.A.K. (Matrosen-Artillerie Kiautschou) mit ihrem Leiter Hermann
Richard Hansen
Tokushima-Orchester und Chor mit Hermann Richard Hansen
Das Barackenlager in Bando
Konzerte mit Werken von Beethoven
In Bando gab es zwei Druckereien: die Steindruckerei und die Lagerdruckerei, aus der die meisten Publikationen
stammen. Im Gegensatz zum Hektographie-Verfahren mit Matrizen, das man in Marugame verwendet hatte, bediente man
sich in Tokushima und in der Folge auch in Bando eines komplizierteren Wachsblatt-Vervielfältigungsverfahrens.
Dieses ermöglichte die Herstellung der eindrucksvollen, mehrfarbigen Programme, Postkarten, Landkarten,
lagerinterner Briefmarken und Lagergeld, ja sogar von Büchern und Broschüren. Die vielfarbigen
Veranstaltungsprogramme sind wertvolles historisches Material, das ein eindrucksvolles Bild der vielseitigen
kulturellen Aktivitäten im Lager vermittelt. In den rund 32 Monaten der Kriegsgefangenschaft in Bando lassen
sich über 100 Konzerte, Kammermusik-, Lieder- und Unterhaltungsabende nachweisen. Zudem wurden mindestens 21
Theaterstücke z.T. mehrfach hintereinander aufgeführt. Für die Aktiven war die Mitgliedschaft in Orchester, Chor
oder Theatergruppe eine Möglichkeit, der Langeweile zu entfliehen (die Kriegsgefangenen mussten keiner
Zwangsarbeit nachgehen) und einem "Lagerkoller" vorzubeugen; für die Zuhörer boten die kulturellen
Veranstaltungen eine angenehme Unterbrechung des Lageralltags. Die Instrumente hatten die Musiker zum Teil aus
China in die Internierung mitgenommen; weitere wurden entweder regulär gekauft, in der Lagertischlerei
hergestellt oder von in Japan in Freiheit lebenden deutschen Privatleuten oder japanischen Militärs gespendet.
Zum allergrößten Teil wurden gemischte Unterhaltungsprogramme mit leichter Musik gespielt: damals beliebte und
bekannte Stücke aus Wiener Operetten von Johann Strauß, Franz von Suppé und Carl Zeller, Märsche und Walzer von
Zeitgenossen wie den Berlinern Leon Jessel und Paul Lincke (letzterer bekannt als Vater der "Berliner Operette"
durch den Titel "Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft" aus der erfolgreichen "Frau Luna"), aber auch Ouvertüren
von Offenbach und Rossini. Nur 18 der 68 vorliegenden Programme boten anspruchsvollere, im engeren Sinne
"klassische" Konzerte, darunter sieben Kammermusikabende. Von letzteren waren zwei reine Beethoven-Abende, ein
weiterer enthielt Werke Beethovens. Unter den verbleibenden 11 Symphoniekonzerten sind allerdings eindrucksvolle
vier reine Beethoven-Programme, weitere zwei Konzerte enthalten zumindest Werke von Beethoven. Die Rezeption des
Nationalheiligen, des Heroen und Titanen Beethoven entsprach der patriotischen Gesinnung der Kriegsgefangenen.
Konzert vom 21.10.1917 mit Egmont-Ouvertüre
Konzert vom 9.12.1917 mit Prometheus-Ouvertüre
Aus Anlass der Anwesenheit des im japanischen Kobe lebenden Komponisten Hans Ramseger wurden sein Vorspiel und
Ouvertüre zu "Chushingura" aufgeführt. Diese in Japan jedermann bekannte Volkslegende wurde u.a. auch im
Kabuki-Theater gepflegt und war 1907 erstmals verfilmt worden. Außerdem spielte das Orchester von Paul Engel
Carl Maria von Webers "Freischütz" und Beethovens Egmont-Ouvertüre op. 84, die bereits drei Wochen zuvor
aufgeführt worden war. Wie schon durch Beethoven selbst, erklang seine Musik auch zu wohltätigen Zwecken, hier
zu Gunsten der lagereigenen Krankenkasse die Prometheus-Ouvertüre op. 43.
Konzert vom 24.2.1918 mit 4. Symphonie und
3. Leonoren-Ouvertüre
Das Tokushima-Orchester spielte in einem Beethoven-Abend vermutlich die japanische Erstaufführung der 4.
Symphonie op. 60; dazu gab es einen Einführungstext, dem Max Chops Publikation über "Ludwig van Beethovens
Symphonien" von 1910 zugrunde liegt. Der Oberhoboistenmaat (Obermaat ist die Dienstgradbezeichnung der
Kaiserlichen Marine, Hoboist ein Militärmusiker) Hermann Richard Hansen aus Flensburg leitete sowohl die Kapelle
der M.A.K. (Matrosen-Artillerie Kiautschou) als auch das Tokushima-Orchester. Er spielte Violine und mehrere
Blasinstrumente.
Das Barackenlager in Bando
Konzerte mit Werken von Beethoven
Im Beethoven-Kammermusikabend vom 3. Februar 1918 wurde außer einer Übertragung des Bläserquintetts op. 16 für
Klavierquartett die "Kreutzer-Sonate" op. 47 gegeben, deren Originalhandschrift zu sehen ist.
Konzert vom 3.2.1918 mit "Kreutzer-Sonate"
Beethovens Handschrift des 1. Satzes der Sonate für Violine und Klavier op. 47
Konzert vom 14.4.1918 mit drei Klaviersonaten
Ende April 1918 spielte das Engel-Orchester Beethovens 5. Symphonie, die im vorangegangenen Jahr bereits im
musikalisch besonders aktiven Lager Kurume aufgeführt worden war. Dort fanden auch die japanischen
Erstaufführungen der 8. (1916) und der 7. Symphonie (1919) statt.
Konzert vom 28./29.4.1918 mit 5. Symphonie
Paul Engel gab im Lager Musikunterricht und es war ihm gestattet, zweimal pro Woche japanische Schüler außerhalb
des Lagers zu unterrichten. Nach der durch die Amerikaner erzwungenen Öffnung des Landes in den 1860er Jahren
war es zu einer tief greifenden Modernisierung des Landes nach westlichem Vorbild gekommen. Dazu gehörte auch
eine breite und intensive Pflege westlicher Musik, die in Japan Mitte des 16. Jahrhunderts durch portugiesische
Missionare eingeführt worden war.
"Musikseminar Paul Engel" - Engel mit seinen japanischen Schülern<
Das Barackenlager in Bando
Die japanische Erstaufführung der 9. Symphonie op. 125 in Bando
Bereits ein gutes Jahr vor der Erstaufführung am 1. Juni 1918 stand die Ode "An die Freude" - natürlich in einer
Bearbeitung für Männerstimmen - auf einem Programm des Tokushima-Orchesters, in dem einmal mehr auch der von
Paul Engel komponierte Tsingtau-Kämpfer-Marsch erklungen war.
Konzert vom 10.6.1917 mit Finalsatz der 9. Symphonie
Für die komplette Aufführung wurde laut Mitteilungen im "Täglichen Telegramm-Dienst Bando" seit dem 3. April
geprobt, am 31. Mai gab es eine öffentliche Generalprobe mit dem 80 Mann starken Chor. Wie die meisten Konzerte
fand auch dieses wohl in der "Mehrzweckhalle" - der "Baracke 1" - statt.
Vortragsraum in der Baracke 1: Hier wurden Vorträge gehalten, Konzerte gegeben und
Theater gespielt.
Das Konzertprogramm ist bezeichnenderweise mit der 1902 in der Ausstellung der Wiener Secession erstmals
gezeigten Beethoven-Statue von Max Klinger illustriert, die den Komponisten als antiken Gott stilisiert. Das
Originalmodell Klingers ist im Pavillon im Hof des Beethoven-Hauses zu besichtigen. Der Odentext war dem
Programm beigegeben, die Mitwirkenden erhielten zur Erläuterung des Werks eine schriftliche Einführung, die
wiederum auf der Analyse von Max Chop beruht. Bei dem ausführlichen gedruckten Text über die Symphonie handelt
es sich möglicherweise um die Niederschrift eines Vortrags. Er ist von Wagners Beethoven-Bild geprägt und gibt
in Auszügen auch das von jenem formulierte "Programm" wieder.
Konzert vom 1.6.1918 mit der vollständigen 9. Symphonie
In der wöchentlich (später monatlich) herausgegebenen Lagerzeitung "Die Baracke" erschien im Gegensatz zu anderen
Konzerten zwar keine Rezension, aber in den nächsten zwei Ausgaben eine lange kulturwissenschaftliche Abhandlung
von Peter Spurzem mit dem Untertitel "Schiller - Beethoven - Goethe".
Artikel in "Die Baracke" Nr. 10 und 11 vom 2. und 9.6.191
Kurze Zeit später wurde die Symphonie auch in den Lagern Kurume und Narashino aufgeführt. Ihren "Siegeszug" in
Japan konnte "Daiku", Nummer Neun, wie die Japaner sie nennen, allerdings erst nach Kriegsende antreten. Erst
durch Aufführungen außerhalb der Lager wie z.B. in der Mädchenschule Kurume konnte das Werk allgemein bekannt
werden. Es erfreut sich seither einer ungebrochenen Popularität und alljährlich einer Vielzahl von
Massenaufführungen. Die ausgestellte Beethoven-Handschrift mit einem Teil der Coda des 2. Satzes ist heute
Bestandteil des von der UNESCO definierten "Memory of the World".
Beethovens Handschrift der Coda des 2. Satzes der 9. Symphonie
Das Barackenlager in Bando
Weitere Konzerte mit Werken von Beethoven
Konzert vom 22./23.2.1919 mit 1. und 5. Symphonie
Kammermusikabend vom 26.3.1919 mit Violinsonate op. 30 Nr. 2
Bei ihrer Wiederaufnahme wurde die 5. Symphonie mit der 1. Symphonie kombiniert. Das Konzert wurde in der
Lagerzeitung rezensiert. Im Kammermusik-Konzert vom 26. März 1919 wurde die Violinsonate op. 30 Nr. 2 gespielt,
deren Originalhandschrift sich in der Sammlung des Beethoven-Hauses befindet.
Beethovens Handschrift der Sonate für Violine und Klavier c-Moll op. 30 Nr. 2
Zu sehen ist der Beginn des 3. Satzes. Beethoven hat später mit Rötel ergänzt: "la prima parte senza
repetitione". Der erste Teil des Scherzos sollte also nicht wiederholt werden.
Das Barackenlager in Bando
Weitere Konzerte mit Werken von Beethoven
Konzert vom 28.9.1919 mit Klaviertrio op. 11
Konzert vom 19./20.10.1919 mit 6. Symphonie und Violinkonzert
Fast ein Jahr nach Kriegsende - die Abwicklung und die logistischen Herausforderungen zogen die Heimkehr in die
Länge - veranstaltete man mehrere Wohltätigkeitskonzerte zu Gunsten der notleidenden Kriegsgefangenen in
Sibirien.
Das Engel-Orchester gab seinen 2. Beethoven-Abend mit dem Violinkonzert op. 61 (Solist war Paul Engel, das
Orchester wurde von Willy Werner dirigiert, der auch einen Chor leitete) und der 6. Symphonie. Außer der
eigenhändigen Partitur dieses außergewöhnlichen Werkes befindet sich in der Sammlung des Beethoven-Hauses auch
jene vom Komponisten überprüfte und mit vielen Rötelkorrekturen versehene Abschrift, die als Vorlage für den
Erstdruck diente.
Von Beethoven korrigierte Abschrift der 6. Symphonie op. 68 (Pastorale)
Beethoven gab diese Abschrift im September 1808 in Wien seinem Leipziger Verleger Gottfried Christoph Härtel mit.
Zu sehen sind zwei Seiten zur "Szene am Bach" mit Ergänzungen des Komponisten mit Rotstift. Die Partitur diente
als Vorlage für den Erstdruck, der 1809 in Stimmen und 1826 in Partiturform erschien. Wahrscheinlich wurde auch
in Bando Notenmaterial dieses Verlags benutzt. Dessen Beethoven-Ausgaben waren in der 2. Hälfte des 19.
Jahrhunderts die weltweit verbreitetsten.
Das Barackenlager in Bando
Weitere Konzerte
Im März 1919 wurde in Tokushima ein öffentliches deutsch-japanisches Konzert mit dem Engel-Orchester gegeben.
Vermutlich rekrutierten sich die japanischen Mitwirkenden aus Engels Schülern. Aufgeführt wurden u.a. Auszüge
aus Verdis "La traviata" und japanische Lieder. Das Foto zeigt nicht das Engel-Orchester, sondern das
Tokushima-Orchester unter Hermann Richard Hansen, das ebenfalls in Tokushima konzertierte.
Öffentliches Konzert im März 1919
Zu allen patriotischen Anlässen wurden Konzerte mit Militärmusik veranstaltet. Beispiele sind das Konzert zur
4-jährigen Wiederkehr des Sieges bei Tannenberg (Ostpreußen) mit "Hoch Hindenburg" und dem Chorsatz "Wir müssen
siegen" vom Kapellmeister Hansen unter Beteiligung des Moltrecht-Chors und einer weiteren Spielmannskapelle
sowie das Konzert zum Geburtstag des Kaisers. Dieses vollzog als Themenkonzert einen Gang durch die Geschichte
des Militärmarschs vom 13. bis ins 19. Jh. und enthielt auch Beethovens "York'schen Marsch" WoO 18.
Das Barackenlager in Bando
Weitere Konzerte
Zur Einweihung des Bandoer Stadtparks spielte die M.A.K.-Kapelle populäre Märsche des Militärmusikers Carl Teike.
Natürlich gab es auch Weihnachtskonzerte, 1918 spielte die M.A.K.-Streichmusik ein von Hansen zusammengestelltes
"Weihnachtspotpourri".
Bunter Abend im Juli 1919
Gemeinsam mit sechs weiteren Gefangenen aus Schleswig-Holstein wurde Hansen bereits am 26. August 1919 entlassen,
um an der Abstimmung über die Zugehörigkeit Schleswigs zu Deutschland oder Dänemark teilnehmen zu können. Am
Vorabend gab er sein Abschiedskonzert. Auch an mehreren "Bunten Abenden" wirkten Musikgruppen mit. Ende Juli
1919 erklang das in der Lagerzeitschrift abgedruckte Couplet von Hansen "Warum denn diese Eile, wir warten noch'
ne Weile".
Das Barackenlager in Bando
Theater in Bando
Kultur wurde in den Kriegsgefangenenlagern auch in anderen Bereichen gepflegt. Verbreitet war das Theaterspiel,
wobei zur Ablenkung vom Gefangenendasein vor allem Komödien gespielt wurden. Es standen aber auch
anspruchsvollere Stücke auf dem Programm. Da die Bühne in Baracke 1 erst später gebaut wurde, wich man für
Schillers "Räuber" noch auf eine Freilichtaufführung aus. Die weiblichen Rollen mussten natürlich mit Männern
besetzt werden.
Gruppenfoto der Darsteller in Schillers "Die Räuber"
Deutsches Haus Naruto
Die Zuschauer saßen auf dem "Signalberg", die Bühne befand sich jenseits des Sees
Das Barackenlager in Bando
Theater in Bando
Bei den meisten Stücken beteiligten sich die Lagerorchester oder Teile von ihnen mit Ouvertüren und
Zwischenaktmusiken. Ein Höhepunkt war sicher die fünf Mal wiederholte Vorstellung von Goethes Trauerspiel
"Egmont" mit der Bühnenmusik von Beethoven.
Aufführungen im Februar 1919
Die Sammlung von Bühnenbildern, die in der letzten Ausgabe der "Baracke" wiedergegeben ist, belegt das Engagement
und die Kunstfertigkeit der Theaterenthusiasten unter den Gefangenen. Zu "Egmont" druckte die Lagerzeitung eine
Einführung, die den im Werk thematisierten Freiheitsgedanken und Heldentod mit der eigenen Situation als
Kriegsgefangene verglich. Der Rezensent betont zwar die unvermeidbaren Mängel der Aufführungen durch die
Umstände im Lager, stellt aber das Gelungene besonders heraus. Möglicherweise war Hansen der Autor der
ausführlichen Erläuterung der Schauspielmusik.
Bühnenbild zu "Egmont", "Straßenscene", entworfen von Wilhelm Blomberg
Diese Abschrift enthält nicht nur Korrekturen des Komponisten im Notentext, sondern auch viele Regieanweisungen,
die die Musik mit dem Schauspiel verbinden.
Von Beethoven korrigierte Abschrift seiner Musik zu Johann Wolfgang von Goethes
Trauerspiel "Egmont" op. 84
Bühnenbild zu "Egmont", "Zimmer der Regentin", entworfen von Wilhelm Blomberg
Zu sehen ist der Beginn der letzten Musiknummer mit Beethovens Überschrift: "Egmont • schüzt eure Güter! und euer
liebstes zu erretten, fallt Freudig, wie ich euch ein beyspiel gebe' nach diesen Worten fällt das Orchester
rasch und feurig ein - ". Das Trauerspiel ist schon vom Dichter so angelegt, dass die Musik einen elementaren
Bestandteil des Dramas darstellen soll. Nach dem Fallen des Vorhangs schrieb Goethe vor: "die Musik fällt ein
und schließt mit einer Siegessymphonie das Stück". Beethovens Anweisungen gehen an vielen Stellen über Goethes
Vorstellungen hinaus. Der Dichter urteilte: "Beethoven ist mit bewundernswertem Genie in meine Intention
eingegangen".
Das Barackenlager in Bando
Theater in Bando
Das Programm zu Lessings "Minna von Barnhelm" weist auf das von der japanischen Lagerleitung erlassene
Applaudierverbot hin. Zum Calderonschen Versdrama "Das Leben ein Traum" erschien ein ausführlicher
Einführungstext.
Aufführungen "Minna von Barnhelm" im November 1917
Aufführungen "Das Leben ein Traum" von Pedro Calderón de la Barca im Mai 1918
Der Dichter der "Rabensteinerin", Ernst von Wildenbruch, hatte 1891 ein Gedicht zur Weihe des Beethoven-Hauses
verfasst, das bei der feierlichen Eröffnung des Geburtshauses als Gedenkstätte für den größten Sohn der Stadt
Bonn im Mai 1893 vorgetragen wurde. Das emphatische Gedicht endet: "Nicht seinen Namen komm' ich, zu
nennen,/denn er steht in den Sternen geschrieben,/Euch zu weisen komm' ich, Euch Alle,/ihn mit inniger Liebe zu
lieben."
Aufführungen "Die Rabensteinerin" im Februar 1918
"Beethovens Haus", Gedicht zur Weihe des Beethoven-Hauses von Wildenbruch
Das Barackenlager in Bando
Theater in Bando
Im Lager wurde auch Puppentheater mit kunstvoll von Hand geschnitzten Marionetten gespielt. Die "Ausstellung für
Bildkunst und Handfertigkeit" im März 1918 zeigte außer den aufwändig in den Lagerwerkstätten hergestellten
Theaterrequisiten und Kostümen auch das Marionettentheater.
Marionettentheater im April 1918
Marionettentheater im Mai 1919
Marionettentheater bei der "Ausstellung für Bildkunst und Handfertigkeit" im März
1918
Das Barackenlager in Bando
Ausstellungen in den Kriegsgefangenenlagern
Katalog der "Ausstellung für Bildkunst und Handfertigkeit" im März 1918, der auch in
japanischer Sprache gedruckt wurde
Die Gemeinde Bando stellte für die Ausstellung ihre Versammlungshalle mit großen Nebengebäuden und Außengelände
zur Verfügung. Die Kriegsgefangenen präsentierten über 450 Exponate, wovon die meisten verkäuflich und
nachbestellbar waren. Der Bereich "Bildkunst" umfasste über 200 Kreide-, Kohle-, Tusche- und Aquarellzeichnungen
sowie einige Ölbilder. Der Bereich "Handfertigkeit" gliederte sich in 11 Unterabteilungen wie z.B. Schiffbau,
Kinderspielsachen, Lebensmittel, aber auch Musikinstrumente (mit 7 Exponaten) und Sammlungen von ausgestopften
Tieren und präparierten Pflanzen, ein Hobby, dem Heinrich Thies nachging.
"Pflanzen- und Samensammlung", zum Teil bestückt von Heinrich Thies
"Deutsche Ecke" bei der Provinzial-Ausstellung in Tokushima
Die Ausstellung stieß auf großes öffentliches Interesse, 19 Dolmetscher führten
über 50.000 Besucher, worunter auch viele Schulklassen waren.
Japanische Schulkinder besuchen das Lager
Auch die anderen Lager veranstalteten solche Ausstellungen, wie der Ausstellungskatalog aus Ninoshima und die
Postkarte aus Kurume belegen. Solche Postkarten wurden zu allen besonderen Gelegenheiten in den Lagerdruckereien
gedruckt und mit Einheitstextstempeln versehen. Das vereinfachte die Zensur und trug so wesentlich zu einer
schnelleren Laufzeit bei.
"Kunst und Gewerbeausstellung Kurume 1918"
"Ausstellung für Bildkunst und Handfertigkeit", Bando
Das Barackenlager in Bando
Ende der Kriegsgefangenschaft
Hier sind Dokumente zur Heimkehr der Kriegsgefangenen zu sehen. In Erwartung der baldigen Abreise erschien die
letzte Ausgabe der "Baracke" im September 1919. Es dauerte allerdings noch bis Jahresende, bis die japanische
Regierung den Heimtransport mit sechs gecharterten Frachtschiffen organisiert hatte.
Letzte Ausgabe der Lagerzeitung
Die Gefangenen aus Bando reisten auf der "Hofuku Maru", die am 30. Dezember in Kobe ablegte und 56 Tage später,
am 24. Februar 1920, in Wilhelmshaven einlief. Die Gerätschaften der Lagerdruckerei hatte man mit auf die Reise
genommen, an Bord erschienen sechs Ausgaben der Zeitschrift "Die Heimkehr". Die erste vom 8. Januar 1920
enthielt als Beilage diese Karte. Der bis zu diesem Zeitpunkt zurückgelegte Reiseweg ist mit roten Punkten
gekennzeichnet, die weitere Route hat der Matrose Anton Müller mit Bleistift eingetragen.
Seereise von Kobe nach Wilhelmshaven
Auf dem Schiff wurde ein Liederabend veranstaltet, auf dessen Programm auch eine Bearbeitung des Andante-Satz aus
der Klaviersonate "Appassionata" op. 57 für Männerchor von Friedrich Silcher ("Hymne an die Nacht") stand.
Als bleibende Erinnerung an die in der Gefangenschaft verstorbenen acht Soldaten war ein Gedenkstein auf dem
Lagergebiet errichtet worden, der im Fotoalbum von Heinrich Thies zu sehen ist. Am 8. Februar 1920 wurde das
Lager offiziell geschlossen und später von der japanischen Armee als Truppenübungsplatz genutzt. Nach dem
Zweiten Weltkrieg diente es der Unterbringung von Heimkehrern aus Übersee.
Erst in den 1960er Jahren kam eine Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen ehemaligen Kriegsgefangenen und der
Bevölkerung von Bando zustande. 1972 wurde auf dem ehemaligen Lagergelände das "Deutsche Haus Naruto" als
Erinnerungsstätte und Museum eingerichtet, die Exponate werden seit Oktober 1993 in einem größeren Neubau der
Öffentlichkeit präsentiert. Alljährlicher Höhepunkt der Veranstaltungen ist seit 1982 die feierliche Aufführung
von Beethovens 9. Symphonie am 1. Juni.
Impressum
Herausgeber:
Beethoven-Haus Bonn
Bonngasse 24-26
D-53111 Bonn
Deutschland
Inhalte der Internet-Ausstellung:
Dr. Nicole Kämpken
Dr. Michael Ladenburger
Fotos:
Boris Goyke
Klaus Weidner